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30 Jahre DKMS – Interview mit Global CEO Dr. Elke Neujahr

Am 28. Mai wird die DKMS 30 Jahre alt. Über unsere Geschichte und unsere internationale Ausrichtung haben wir mit unserer Geschäftsführerin Dr. Elke Neujahr gesprochen. Sie möchte die Zukunft der DKMS nachhaltig planen, um so noch mehr Patient:innen eine zweite Lebenschance zu ermöglichen.

26.05.2021

1991 gab es kaum Stammzellspender:innen in Deutschland. Wurde deshalb die DKMS gegründet?

Im Prinzip ja. Unsere Geschichte beginnt mit dem Kampf der Familie Harf um das Leben eines geliebten Menschen. Für Mechtild Harf war 1990 eine Knochenmarktransplantation die einzige Möglichkeit zur Behandlung ihrer Leukämie. Zu diesem Zeitpunkt waren in Deutschland lediglich 3.000 potenzielle Spender:innen erfasst – verteilt auf einzelne kleine Register. Angesichts der großen Schwierigkeit, für seine Ehefrau den einen „genetischen Zwilling“ zu finden und ihr damit eine Aussicht auf Rettung zu geben, ergriff ihr Ehemann Peter Harf selbst die Initiative.

Am 28. Mai 1991 gründete er mit Mechtilds behandelndem Arzt Gerhard Ehninger die DKMS. Und das war gleich im ersten Jahr ein voller Erfolg: Bis Ende Dezember stieg die Zahl verfügbarer DKMS Spender:innen in Deutschland auf 68.000. Leider überlebte Mechtild Harf ihre Krankheit trotz aller Anstrengungen nicht. Peter Harf gab ihr aber am Krankenbett das Versprechen, so vielen Menschen mit Blutkrebs wie möglich eine zweite Lebenschance zu verschaffen.

Was hat die DKMS seither erreicht?

Ganz schön viel, wie ich finde. Aus dem Schicksal eines einzelnen Menschen entwickelte sich eine weltweite Bewegung. Es erfüllt mich mit immensem Stolz und großer Freude, dass heute an inzwischen sieben DKMS Standorten auf fünf Kontinenten über 10,7 Millionen Menschen als Stammzellspender:innen registriert sind. Mehr als 92.000 Stammzelltransplantationen für Patientinnen und Patienten in 57 Ländern haben wir dank ihres Einsatzes möglich gemacht. Das ist einfach großartig, Und wir werden immer schneller in der Vermittlung von geeigneten „Matches“. Ein Beispiel: Sieben Jahre nach unserer Gründung freuten wir uns über die insgesamt 1.000ste Stammzellentnahme – das war damals ein wichtiger Meilenstein. Derzeit spenden täglich 21 DKMS Spenderinnen und Spender Stammzellen und geben damit vielen Menschen eine zweite Lebenschance.

Und natürlich ist eines für uns klar: Nach wie vor bleiben wir dem Versprechen an Mechtild treu. Es ist wichtiger denn je, da alle 27 Sekunden ein Mensch irgendwo auf der Welt die Diagnose Blutkrebs erhält. Noch immer kann leider vielen Betroffenen, darunter eine große Zahl an Kindern und Jugendlichen, nicht geholfen werden. Das wollen wir ändern.

Stichwort „Corona“: Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf Ihre Arbeit?

Selbstverständlich stellt uns die Situation seit März 2020 vor eine der größten Herausforderungen seit unserer Gründung. Auch in der Pandemie arbeiten wir täglich dafür, Erkrankten weltweit Stammzellen für lebensrettende Transplantationen zu vermitteln.

Das fordert uns alle enorm, daher sehe ich es als eine extrem wichtige Aufgabe, auf die physische und psychische Gesundheit unserer Mitarbeiter:innen zu achten.

Im März 2020 haben wir zum Schutz der Bevölkerung alle Registrierungsaktionen vor Ort eingestellt und neue Möglichkeiten geschaffen. Darum nehmen wir Spender:innen derzeit ausschließlich online auf. Das funktioniert zu unserer großen Freude inzwischen sehr, sehr gut und wird von vielen Menschen angenommen.

"Blutkrebs kennt keine „Corona-Pause."

Ein weiterer positiver Effekt ist, dass wir viel gelernt und Prozesse weiter verbessert haben. Wir sind digital besser aufgestellt als je zuvor. Ein zusätzlicher Pluspunkt ist, dass die Teamarbeit auf internationaler Ebene vielleicht noch selbstverständlicher als zuvor geworden ist – denn die Tätigkeit der Einzelnen oder des Einzelnen endet nicht an Landesgrenzen. Wir treffen uns sehr regelmäßig zu internationalen Gesprächen und Informationsveranstaltungen via Internet.

Einer der Sätze, die wir auf Dauer geprägt haben, lautet: Blutkrebs kennt keine „Corona-Pause“. Unser hohes Engagement ist wichtiger als je zuvor. 2020 haben wir trotz aller Widrigkeiten alle gespendeten Stammzellen sicher zu Transplantationszentren in aller Welt gebracht. Ich bin sehr dankbar dafür, wie wir dies bei der DKMS Hand in Hand im Team meistern und wirklich alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um das Beste für unsere Spender:innen und die Patientinnen und Patienten zu geben.

Was ist das Erfolgsrezept? Was macht die Arbeit der DKMS so einzigartig und besonders?

Wir geben Menschen Hoffnung und Zuversicht – das treibt uns täglich an. Diese Leidenschaft und diese Hingabe für unsere Organisation, die seit dem ersten Tag spürbar sind, beeindrucken mich zutiefst und sind für mich und für unsere mehr als 1.000 motivierten und kompetenten Mitarbeiter:innen wegweisend. Unser Erfolgsrezept besteht aus diesen wesentlichen Zutaten: Einsatzbereitschaft, Motivation, Flexibilität, Professionalität und vor allem, unsere „Geheimzutat“, das Herzblut. Hinzu kommt, dass wir niemals aufgeben und immer im Sinne unserer Patient:innen nach einer Lösung suchen. Wir sind wirklich allesamt mit Herz und Verstand dabei.

"Vielfalt ist lebensrettend."

Einzigartig ist sicherlich auch, dass wir dank unserer Arbeit viele wunderbare Menschen kennenlernen dürfen, die sich uneigennützig für unser Anliegen einsetzen. Dazu gehören Spender:innen, Patient:innen, ehrenamtliche Helfer:innen, Initiativgruppen, Angehörige und Unterstützer:innen. Nicht zuletzt faszinieren mich nach wie vor die fast schon magischen Begegnungen zwischen Patient:innen und ihren Lebensretter:innen. Ich durfte schon bei einigen dabei sein, und jedes Mal habe ich Tränen der Freude und Rührung in den Augen. Das sind die Momente, für die wir alle arbeiten.

Vielfalt ist lebensrettend. Je bunter und vielfältiger die Datei ist, desto besser. Was bedeutet das für die Suche nach geeigneten Spender:innen und die internationale Arbeit?

Es bedeutet, dass wir länderübergreifend handeln und denken. Für die zweite Chance auf Leben überschreiten wir Grenzen, arbeiten global zusammen und lassen nichts unversucht, um Patientinnen und Patienten zu helfen – unabhängig von ihrem geografischen Standort. Jede und jeder Betroffene verdient die Chance auf Leben.

Entscheidend für eine Stammzelltransplantation ist die Übereinstimmung der Gewebemerkmale von Patient:in und Spender:in. Gewebemerkmale werden vererbt und sind teilweise von der ethnischen Herkunft abhängig. Es ist also viel wahrscheinlicher, dass Patient:innen eine passende Spenderin oder einen passenden Spender innerhalb der eigenen Ethnie finden. Und damit kommen Menschen aus aller Welt infrage.

Das heißt ganz konkret: Wir brauchen möglichst viele potenzielle Lebensretter.innen mit ganz unterschiedlichen Wurzeln in unserer Datei. Ganz wichtig ist es, unsere internationale Reichweite als Stammzellspenderdatei konsequent zu vergrößern.

Dr. Elke Neujahr

Wir sind darum froh, dass wir im März 2021 als jüngstes Mitglied der DKMS Familie nun auch DKMS Africa in Südafrika begrüßen konnten. Daneben sind wir auch in den USA, UK, Polen, Chile und Indien aktiv – also heute auf bereits fünf Kontinenten!

Die DKMS ist mehr als eine reine Spenderdatei, sondern vielseitig aktiv. Welche Bereiche betrifft das besonders?

Aus gutem Grund betreiben wir bereits seit geraumer Zeit Wissenschaft und Forschung. In den vergangenen 30 Jahren haben unsere Expert:innen umfangreiches Wissen auf dem Gebiet der Stammzellspende und -transplantation aufgebaut. Unsere eigene Forschungseinheit, die Clinical Trials Unit, beschäftigt sich eingehend damit, durch Studien immer weitere Faktoren zu bestimmen und Erkenntnisse zu gewinnen, die die Chancen auf Heilung durch Blutstammzelltransplantationen laufend verbessern.

Die Spezialist:innen in unserem Hochleistungslabor, dem DKMS Life Science Lab, arbeiten an der kontinuierlichen Erweiterung unserer Typisierungsprofile, um die beste Spenderin oder den besten Spender für jede Erkrankte und jeden Erkrankten zu finden. Heute bestimmen wir bereits 25 Marker, die bei der Spender:innenauswahl eine entscheidende Rolle spielen.

Inzwischen sind wir als Netzwerk mit 13 Tochtergesellschaften zu einer internationalen und vielseitigen Organisation gewachsen, die gegen Blutkrebs und andere Bluterkrankungen von verschiedenen Seiten aus kämpft. Gemeinsam entwickeln wir unsere Aktivitäten gezielt und konsequent weiter, um Patient:innen bestmöglich zu helfen. Das werden wir so lange tun, bis unser Traum von einer Welt ohne Blutkrebs und Blutkrankheiten Wirklichkeit wird.

Nicht jeder Betroffene auf der Welt hat den gleichen Zugang zu einer Behandlung. Was unternimmt die DKMS, um auch dabei Hilfestellung zu leisten?

Der einzig wirksame Ansatz, Blutkrebs und andere lebensgefährliche Bluterkrankungen zu bekämpfen, ist eine Makroperspektive und ganzheitliche Sichtweise. Deshalb erweitern wir den Umfang unserer Tätigkeiten über die Registrierung potenzieller Stammzellspenderinnen und Stammzellspender hinaus. Wir unternehmen alles, um Patientinnen und Patienten zu unterstützen, deren geografischer Standort oder sozioökonomischer Status den Zugang zur notwendigen medizinischen Behandlung erschwert. Ihnen wollen wir nach Möglichkeit Zugang zu Therapien und Transplantationen verschaffen.

"Meine Vision ist es, dass wir in den nächsten zehn Jahren unsere internationalen Aktivitäten konsequent ausbauen."

Jeder Mensch mit Blutkrebs oder einer lebensgefährlichen Bluterkrankung wie zum Beispiel Thalassämie oder Sichelzellenanämie verdient, dass wir nichts unversucht lassen, ihm zu helfen – unabhängig davon, wo er wohnt. Wir haben deshalb ganz konkrete Hilfsprogramme ins Leben gerufen, um die Situation insbesondere derer zu verbessern, die in ärmeren Regionen der Welt leben. Diese Programme umfassen unter anderem finanzielle Unterstützung, kostenlose HLA-Typisierung sowie die Förderung von Behandlung und Pflege – etwa durch infrastrukturelle Unterstützung und Wissensaustausch.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Was wollen Sie mit der DKMS in den kommenden Jahren erreichen?

Meine Vision ist es, dass wir in den nächsten zehn Jahren unsere internationalen Aktivitäten konsequent ausbauen und im Jahr 2030 in 20 Ländern der Welt tätig sind, um so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Ich bin überzeugt, dass wir es gemeinsam schaffen, bis dahin 20.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer an unserer Seite zu haben und rund 20 Millionen Menschen als potenzielle Stammzellspender in unserer Datei zu führen. Wir sind überall dort im Einsatz, wo wir gebraucht werden.

Um für meine Organisation und ihre Mitarbeiter:innen und Unterstützer:innen dafür alle Voraussetzungen zu schaffen, bringe ich die unternehmerische Initiative ebenso wie die Liebe für Menschen verbunden mit der unermüdlichen Leistungsbereitschaft mit, damit wir in unserer Mission noch erfolgreicher werden.

Liebe Frau Dr. Neujahr, herzlichen Dank für das Gespräch.

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