Blogbeitrag

Neue Spender: Das passiert im Labor mit ihren Proben

Was genau bei neuen Stammzellspendern analysiert wird und welchen Nutzen Patienten davon haben, das erzählt Vinzenz Lange vom DKMS Life Science Lab in seinem Blogbeitrag.

24.09.2018

Dr. Vinzenz Lange hat 2012 die Einführung einer bahnbrechenden neuen Methode zur Charakterisierung der Spenderproben geleitet, die es heute dem Labor ermöglicht, pro Jahr mehr als eine Million Spenderproben zu charakterisieren. Mit seinen Teams arbeitet er daran, die aktuellsten technischen Errungenschaften für eine noch bessere oder kostengünstigere Charakterisierung der Proben nutzbar zu machen.

Wenn ich mich jetzt als Spender registrieren lasse und mein Registrierungsset abgebe, wie geht es danach weiter?

Zuerst werden im Labor die HLA-Merkmale, man sagt auch Gewebemerkmale, von jedem neuen Spender bestimmt. Dies ist ein recht aufwändiges Verfahren, das rund vier bis sechs Wochen in Anspruch nimmt. Sobald die Labordaten vorliegen, übermitteln wir sie an die DKMS.

Was genau wird denn im Labor analysiert?

Ganz allgemein gilt: Derzeit gleicht man meist mindestens fünf HLA-Gene mit je zwei Ausprägungen ab, das sind die so genannten HLA-Merkmalen oder Gewebemerkmale. Denn für eine erfolgreiche Stammzelltransplantation ist vor allem eine gute Übereinstimmung dieser Gewebemerkmale von Spender und Empfänger Voraussetzung. Selbst bei einer Übereinstimmung von zehn Gewebemerkmalen kommt es leider noch häufig zu Abstoßungsreaktionen oder anderen Komplikationen nach der Transplantation. Daher wird beständig daran geforscht, weitere Faktoren zu identifizieren, die sich positiv auf die Transplantation auswirken. Deshalb typisieren wir bei der DKMS inzwischen sogar zwölf Gewebemerkmale hochaufgelöst und verschiedene weitere Faktoren.

Welches sind denn diese zwölf zu typisierenden HLA-Merkmale?

Die HLA-Merkmale befinden sich an klar definierten Stellen auf einem Chromosom – dem Chromosom 6 -, man spricht deshalb von „Gen-Orten“. Die sechs Gen-Orte kommen auf jeweils einem vom Vater und einem von der Mutter vererbten Strang des Chromosoms vor. Daher sind es insgesamt zwölf HLA-Merkmale und sie heißen: HLA-A, HLA-B, HLA-C, HLA-DRB1, HLA-DQB1 und HLA-DPB1. Außerdem charakterisieren wir das Gen HLA-E, da es inzwischen Hinweise darauf gibt, dass HLA-E für die Spenderauswahl zusätzlich hilfreich sein könnte.

Sie sprachen von weiteren Faktoren, die bei neuen potenziellen Stammzellspendern analysiert werden. Welche sind das?

Zusätzlich zu den HLA-Genen charakterisieren wir die Familie der KIR-Rezeptoren, MICA, MICB und den CCR5-Rezeptor sowie die Blutgruppen AB0 und Rh. Außerdem bestimmen wir über einen Antikörpernachweis den Cytomegalievirus (CMV)-Status. Um herauszufinden, welche dieser Faktoren befundet wurden, können Spender bei Bedarf ihre Befunde bei der DKMS anfordern.

Und warum werden diese zusätzlichen Faktoren bestimmt? Haben sie für die Auswahl des Spenders vor einer Transplantation eine Relevanz?

Im glücklichen Fall, dass mehrere Spender für einen Patienten infrage kommen, werden neben den HLA-Merkmalen weitere Faktoren zur Auswahl des Spenders herangezogen. Derzeit sind dies im Allgemeinen das Alter und das Geschlecht des Spenders, die ABO Blutgruppe und der CMV-Status. Für diese Faktoren gibt es relativ gesicherte wissenschaftliche Belege, dass eine Berücksichtigung bei der Spenderauswahl die Überlebensrate positiv beeinflusst. CMV zum Beispiel ist ein weltweit verbreitetes Virus aus der Familie der Herpesviren. Der Ausbruch einer CMV-Infektion nach einer Transplantation kann beim Patienten zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Daher wird bei der Spenderauswahl darauf geachtet, dass der CMV Status von Spender und Empfänger übereinstimmen.

Warum werden neben diesen Faktoren weitere Gene charakterisiert?

Neben den Faktoren, für die es gesicherte wissenschaftliche Belege gibt, charakterisieren wir weitere Merkmale, von denen wir aufgrund der wissenschaftlichen Literatur vermuten, dass sie in Zukunft für die Spenderauswahl hilfreich sein könnten. Der Hintergrund ist, dass es leider auch bei Berücksichtigung aller klar belegter Auswahlkriterien oftmals zu Komplikationen nach einer Stammzelltransplantation kommt. Ärzte und Wissenschaftler auf der ganzen Welt versuchen daher weitere Faktoren zu identifizieren, welche zu verbesserten Überlebensraten nach einer Transplantation beitragen. Dabei dauert es in der Regel viele Jahre von den ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen, der Bestätigung durch unabhängige Gruppen, bis zu einer schrittweisen Übernahme in die klinische Praxis. Wir bei der DKMS versuchen diesen Prozess zum Wohl der Patienten zu unterstützen und zu beschleunigen. Indem wir frühzeitig Forschungsergebnisse aufgreifen und weitere Faktoren bei den potenziellen Spendern bestimmen, unterstützen wir Studien und beschleunigen eine Übernahme in die klinische Praxis, sobald sich die wissenschaftliche Datenlage verfestigt hat.

Ein Beispiel ist die Familie der KIR Gene (Killer Cell Immunglobulin-like Receptor): Es gibt einige Studien, die beschreiben, dass die KIR-Merkmale Auswirkungen auf die Überlebensrate sowie die Rückfallquote nach einer Transplantation haben. Das Labor hat inzwischen mehr als 3 Millionen Spender bzgl. der KIR Gene charakterisiert. Außerdem unterstützen wir mit unseren Technologien weitere wissenschaftliche Studien. Die KIR-Proteine spielen eine Rolle in der Erkennung von körperfremden oder entarteten Zellen durch die „Natürlichen Killerzellen“ des Immunsystems.

Im DKMS Life Science Lab gehen täglich tausende Proben ein

Gibt es Vorteile, die die DKMS dadurch hat?

Unser Anliegen ist es, für die Patienten noch besser passende Spender zur Verfügung stellen zu können. Der DKMS kommt aus zwei Gründen eine Schlüsselrolle zu: Fast die Hälfte aller weltweit jährlich neu registrierten potenziellen Spender werden durch die DKMS oder eine ihrer Tochtergesellschaften in Polen, UK, USA und Chile aufgenommen. Mit etwa einer Million neuen Spendern pro Jahr können wir nach Aufnahme eines neuen Typisierungsfaktors in das Spenderprofil innerhalb weniger Jahre eine wirklich relevante Anzahl an Spendern bereitstellen, so dass der neue Faktor für die Spenderauswahl auch sinnvoll genutzt werden kann.

Zum anderen ist das DKMS Life Science Lab weltweit führend in der HLA-Typisierung und verwendet die neuesten Technologien. Durch die Verwendung von Next Generation Sequencing (NGS) können zusätzliche Parameter charakterisiert werden, ohne dass dies die Kosten wesentlich erhöht.

Und wie schnell stehen dann meine HLA-Merkmale für die Suche zur Verfügung?

In der Regel liegen die Laborergebnisse nach rund vier Wochen vor. In Ausnahmefällen kann es bis zu zehn Wochen dauern, bis alle Analysen abgeschlossen sind. Sobald dann die Labordaten, eine Einwilligungserklärung und die Adressdaten des neuen Spenders zusammengeführt sind und vollständig im System der DKMS vorliegen, steht man dem weltweiten Suchlauf für Patienten zur Verfügung.

Next Generation Sequencing (NGS) im Hochdurchsatz (Credit: Bert Spangemacher für DKMS)

Warum dauert das „so lange“?

Zur Typisierung von Gewebemerkmalen werden sehr aufwändige Analyseverfahren angewandt, die nicht mit denen zur einfachen Blutbild-Erstellung beim Arzt zu vergleichen sind. Es geht bei der Typisierung nicht um Infektionsmarker, die jedes Labor bestimmen könnte, sondern um die genaue Bestimmung von HLA-Merkmalen auf bestimmten Gen-Orten durch DNA-Sequenzierung. Um die Spendengelder möglichst effektiv im Kampf gegen Blutkrebs einzusetzen, hat das Labor ein äußerst kosteneffizientes Verfahren entwickelt, mit dem es pro Woche etwa 30.000 Proben bearbeiten kann. Die optimale Auslastung der Prozesse reduziert die Bearbeitungskosten erheblich, bedingt allerdings eine etwas längere Bearbeitungszeit. Bei der Typisierung von neu registrierten Freiwilligen ist für die Patienten die Bearbeitungszeit nicht so wichtig, sondern, dass wir möglichst viele potenzielle Spender charakterisieren können.

Und wenn es schneller gehen muss?

Für eilige Patientenproben kann das Labor, mit auf Geschwindigkeit optimierten Prozessen, viel schnellere Ergebnisse liefern – allerdings zu erheblich höheren Kosten. Diese auf Geschwindigkeit optimierten Prozesse werden für alle Untersuchungen verwendet, bei denen es für das Patientenwohl hilfreich ist, zum Beispiel für die Typisierung von Familienangehörigen.

Über Vinzenz Lange

Vinzenz Lange

Vinzenz Lange (44) ist Chief Technology Officer im DKMS Life Science Lab in Dresden. Der promovierte Biochemiker arbeitet seit 2009 bei der DKMS und ist für alle technologischen und methodischen Aspekte des Labors verantwortlich, dies beinhaltet unter anderem die Bereiche Laborautomatisierung, Bioinformatik, IT und Forschung sowie das Klinische Labor. Dr. Lange hat 2012 die Einführung einer bahnbrechenden neuen Methode zur Charakterisierung der Spenderproben geleitet, die es heute dem Labor ermöglicht, pro Jahr mehr als eine Million Spenderproben zu charakterisieren. Mit seinen Teams arbeitet er daran, die aktuellsten techischen Errungenschaften für eine noch bessere oder kostengünstigere Charakterisierung der Proben nutzbar zu machen.

Weitere Möglichkeiten zu helfen
Du kannst die DKMS auf vielfältige Weise unterstützen und damit vielen Blutkrebspatient:innen neue Hoffnung auf Leben geben.