Patricia Scheer, die Mutter von Stammzellempfängerin Rinah, ist seit November 2017 als Stammzellkurierin unterwegs. Ihre Tochter hatte Blutkrebs und ist Dank einer Stammzellspende wieder gesund. Was ihr diese ehrenamtliche Tätigkeit vor diesem Hintergrund bedeutet, erzählt sie in ihrem Blogbeitrag.
Warum bin ich eigentlich Stammzellkurier – der absolute Zufall oder doch wieder nicht? Meine Tochter Rinah bekam am 11.06.2015, einen Tag nach ihrem Geburtstag, die Diagnose MDS. Das Myelodysplastische Syndrom ist eine chronische Erkrankung des Knochenmarks, bei der die Blutbildung nicht von gesunden, sondern von genetisch veränderten Ursprungszellen (Blutstammzellen) ausgeht.
Schnell war klar, dass Rinah nur eine Chance hat gesund zu werden, wenn ein passender Stammzellspender gefunden wird. Eine schwierige Suche, da sie eine seltene Konstellation von HLA-Merkmalen hat. Da ich selber seit Jahren bei der DKMS registriert bin, war die logische Konsequenz, eine Registrierungsaktion zu organisieren. Mit Hilfe von wunderbaren Freunden wurde eine sehr erfolgreiche Aktion durchgeführt (bis heute gingen schon 19 Spender daraus hervor).
Ich musste mich um nichts kümmern und immer mehr Menschen aus unserem Umfeld wollten helfen. Unter anderem auch Rinahs‘ Schule. Hier bekam ich die entscheidende Info, quasi im Nebensatz und doch hat es sich in mein Unterbewusstsein eingenistet. Die Schule hatte einen DKMS Stand aufgebaut, um Geld zu sammeln. Im Gespräch erfuhr ich, dass eine Lehrerin in den Schulferien als Stammzellkurier tätig ist. Das hat mich beeindruckt, ich hatte mir vorher noch keine Gedanken gemacht, wie das alles abläuft. Die Stammzellen werden nicht nur innerhalb Deutschlands transportiert, sondern weltweit – und irgendwer muss das machen. Ärzte und Schwestern haben dafür keine Kapazitäten.
Zwei Jahre später, Rinah war wieder gesund (dank einer Spenderin aus den USA) und unsere Familie hatte im Großen und Ganzen wieder einen normalen Alltag, habe ich mich an diesen Tag erinnert. Warum – weil ich selber bis dato noch nie als Spenderin gefragt war und ich doch irgendwie was Sinnvolles tun wollte, zurückgeben, was wir selber so positiv erfahren hatten. Die einzige kleine Hürde war, herauszufinden, wie man zu einem Kurier wird. Die Aufgabe kann und wird nicht von jeder Spedition (ja, richtig gelesen) durchgeführt. Zu viel Verantwortung hängt daran und jeder muss sich bewusst sein, auf was er sich einlässt. (Bei Interesse: onboard-courier.com/de/kurierbereich/).
Nach ein paar Telefonaten hatte ich es geschafft und wurde nach meiner Bewerbung schnell zu einem Gespräch und anschließend zu einer Schulung eingeladen. Was bei dem ersten Gespräch emotional mit mir passieren würde, habe ich tatsächlich unterschätzt. Im Interview muss man auch über sich erzählen und die Beweggründe der Bewerbung. Mir sind die Tränen hochgeschossen und ich konnte es nicht verhindern. Man ist wieder so in seinen Alltag eingebettet, scheinbar ist alles wieder gut und funktioniert und dann das.
Ich hatte kurzzeitig Bedenken, nicht als Kurier arbeiten zu dürfen, weil die Gefahr bestehen könnte, dass ich es emotional nicht schaffe. Glücklicherweise war dem nicht so, ABER, mein erster Transport war tatsächlich sehr schwierig für mich. Es kamen ganz viele Gefühle hoch, die ich einfach weggedrückt und ausgeblendet hatte und ich war unglaublich nervös, ob etwas schief geht.
Die Abholung der Stammzellen war in Deutschland, die Übergabe in Dänemark. An dem Tag der Reise nach Dresden hatte ich wahnsinnige Kopfschmerzen. Selbst die üblichen Kopfschmerztabletten haben nicht geholfen. Ein sicheres Zeichen von innerer Anspannung und Angst. Ich kannte ja das Gefühl auf der anderen Seite, auf der Seite der Wartenden. Ich weiß noch, wie ich selber im Internet den Flieger beobachtet habe, bis zu der Landung in München. 1000 Gedanken gehen einem durch den Kopf und es gibt wenig Spielraum, wenn – aus welchen Gründen auch immer – beim Transport etwas schief geht. Plötzlich war ich unsicher, ob ich alles richtig vorbereitet hatte. Immer wieder habe ich das Thermometer gecheckt und schließlich sogar in München angerufen, weil ich Sicherheit brauchte.
Jetzt, beim inzwischen vierten Einsatz habe ich zumindest die emotionalen Momente nicht mehr. Rinah war „nur“ auf der ersten Reise in Gedanken mit dabei und das war gut so. Trotzdem, Routine wird das nie werden, nervös und aufgeregt bin ich bei jedem Einsatz. Immerhin steht ein Menschenleben auf dem Spiel und die Verantwortung ist einfach wahnsinnig groß.
Der aktuelle Einsatz führt mich zum ersten Mal auf einen anderen Kontinent, nach Nordamerika. Das bedeutet vier Tage und drei Nächte unterwegs zu sein und so merkwürdig das klingen mag, für Rinah ist das sehr schwer. Man unterschätzt gerne die Nachwirkungen einer solchen Erkrankung und eine Sache, die Rinah schwer zu schaffen macht, ist Verlustangst.
Dank der modernen Technik ist die Kommunikation heute wirklich einfach. Trotzdem ist die Angst da. Aber beide Mädels, Sarah und Rinah, lassen mir diesen Freiraum und halten die Angst aus, weil sie wissen, was es mir bedeutet. Es ist meine Möglichkeit, zu helfen – und ja, auch aufzuarbeiten. Natürlich genieße ich auch das Reisen, ein bisschen Zeit für Entdeckungstouren. Ich komme an Orte, an denen ich noch nie war und habe viele schöne Begegnungen mit den Menschen auf meiner Reise.
Natürlich ist die blaue Transportbox ein Aufhänger für Fragen. Was und wofür es ist und plötzlich ist man mitten im Gespräch, hört Geschichten und ist wieder um wertvolle Erfahrungen reicher. Die spannendsten Momente sind am Flughafen, beim Abholen im Collection Center und bei der Übergabe im Transplantationscenter.
Wenn das Personal am Flughafen die blaue Box kennt, geht alles schnell, aber das ist nicht an jedem Flughafen der Fall. Es kann durchaus zu Diskussionen kommen, aber – toi, toi, toi, bis jetzt hat schlussendlich alles geklappt. Ähnliches gilt für die Kliniken. Schön ist es, wenn die Verantwortlichen sich Zeit nehmen und jedes Formular gemeinsam mit einem durchgehen. Aber oft sind sie ebenfalls im Stress und darum bin ich einfach froh, wenn die Papiere alle vollständig sind und stimmen.
Der beste Moment ist der Versand des Abschlusscodes an den Kurierdienst (auf der Reise muss man per SMS mit vorher definierten Codes regelmäßig seinen Status durchgeben). Ich habe mein Bestes gegeben und die Anspannung fällt ab. Das Gefühl, gerade jemandem eine zweite Chance auf Leben gegeben zu haben, ist einfach unglaublich.
Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für mehr Einsätze, aber das alles muss neben Familie und Beruf koordiniert werden. Achtung, Suchtgefahr!