Viele wissen, dass Stammzellspenden zur Behandlung von Leukämien, Myelomen oder Lymphomen erfolgreich eingesetzt werden. Nicht ganz so bekannt ist der Stammzelleneinsatz bei Erkrankungen wie der Thalassämie. Dabei handelt es sich um eine genetisch bedingte Störung der Hämoglobinbildung.
Wir, Sabine Hildebrand und Gabi Rall, hatten die Gelegenheit, nach Indien zu fahren, um gemeinsam mit unserer indischen Kollegin Shalini Gambhir bei einer großen Typisierungsveranstaltung zur Thalassämie dabei zu sein. In Indien ist diese Krankheit durchaus verbreitet, und Hilfe wird dringend benötigt. Die DKMS unterstützt seit diesem Jahr Krankenhäuser und Thalassämie-Selbsthilfegruppen direkt vor Ort: Konkret sieht das so aus, dass wir Veranstaltungen begleiten, das dafür zuständige Klinikpersonal anleiten sowie HLA-Typisierungen* für Patienten und deren Geschwister zu einem großen Anteil finanziell übernehmen. Ende September war es soweit: Im Kokilaben Dhirubhai Ambani Hospital in Mumbai fand ein „Thalassämie-Camp“ statt, zu dem insgesamt 38 Familien angereist waren, um Patienten und deren Geschwister typisieren zu lassen.
Die längste Anreisezeit hatte eine Familie aus einem entlegenen Dorf: Sie musste 48 Stunden mit dem Zug nach Mumbai fahren. Dabei war die Familie bisher noch nirgendwo hingereist, schon gar nicht mit einem Zug!
Was wir in diesem Camp erlebten, war wirklich sehr bewegend. Die Geschwisterkinder waren teilweise sehr klein, kaum zwei Jahre alt. Auch sie ließen ein kleines Wattestäbchen in der Wange „kreisen“. Viele Helfer und Ärzte betreuten die Familien, erklärten ihnen alles ganz genau. Sie waren dabei unglaublich geduldig, denn für die Familien war das natürlich eine große Aufregung. Doch die große Dankbarkeit war in ihren Augen zu sehen und für uns einmal mehr eine große Bestätigung unserer Arbeit.
Insgesamt wurden bei 73 Patienten und Geschwisterkindern mit einem Wattestäbchen Wangenschleimhautproben entnommen, die derzeit in unserem klinischen Labor nach neuesten Methoden untersucht werden. Diese sind weniger zeitintensiv und haben eine hohe Auflösungsrate (HLA-A, HLA-B, HLA-C, HLA-DRB1, HLA-DQB1 und HLA-DPB1). Unsere Kollegin Katja Ruhner aus dem DKMS Life Science Lab, die dieses Projekt im Labor leitet, lobte die gute Qualität der Proben. Hier zahlte sich aus, dass sich alle Beteiligten bei den Wangenabstrichen sehr viel Mühe gegeben hatten. Insgesamt sind bisher rund 300 Spenderproben aus solchen landesweiten Thalassämie-Camps im Labor eingegangen. Die DKMS hat dafür die Kosten übernommen.
Auch wenn nicht für jedes behandlungsbedürftige Kind ein Spender gefunden werden kann, so ist es doch zumindest möglich, eine auf das Kind abgestimmte Therapie zu veranlassen und weiter zu hoffen, dass sich baldmöglichst ein anderer geeigneter Spender findet. Da die Ärzte den jeweiligen Patienten in unserem Register anlegen können, werden sie von uns informiert, sobald ein passender Spender ermittelt wurde.
Diese Camps werden weiter stattfinden und hoffentlich dazu beitragen, für viele Thalassämie-Patienten eine gute Behandlungsmöglichkeit zu finden. Uns hat sehr bewegt, wie dankbar und freundlich die Menschen vor Ort reagiert haben. Das Engagement der DKMS, das ist uns nach diesen Erlebnissen klarer denn je, lohnt sich!
*Unter dem Begriff HLA-Typisierung werden verschiedene diagnostische Verfahren zusammengefasst, mit denen die Leukozyten-Antigene eines Menschen bestimmt werden. Diese Typisierung ist nötig, um herauszufinden, ob Spender- und Empfängergewebe miteinander kompatibel sind, die Transplantation also nicht zu einer Abstoßungsreaktion führt. Je ähnlicher sich die HLA (human leukocyte antigen) von Spender und Empfänger sind, desto geringer ist die Gefahr einer Abstoßungsreaktion.