Blutkrebspatienten zu helfen, ist nur möglich, wenn abseits der medizinischen Forschung und Versorgung Menschen dazu bereit sind, freiwillig und ehrenamtlich etwas Gutes zu tun. Beispielsweise indem sie sich registrieren, Stammzellen spenden oder uns finanziell unterstützen.
Heike Müller-Jungbluth, Abteilungsleiterin Fundraising und Gabi Rall, Abteilungsleiterin Transplant Center Services & International Medical Team, sprechen im Interview darüber, was Menschen dazu bewegt, den Kampf gegen Blutkrebs zu unterstützen.
Was bewegt Menschen dazu, der DKMS Geld oder Stammzellen zu spenden?
Heike Müller-Jungbluth: In den Anfangsjahren war der Hauptgrund für die Menschen, Geld zu spenden, sicherlich die Finanzierung der eigenen Registrierung oder die monetäre Unterstützung einer Aktion. Die Menschen waren persönlich betroffen, mindestens aber regional involviert. Die Erlebbarkeit unserer Arbeit war extrem lokal und oft war der ganze Ort oder die ganze Kleinstadt auf den Beinen, um in einem konkreten Fall zu helfen.
Das ist ein sehr entscheidender Faktor: Um Menschen zum Geldspenden zu bewegen, musst Du sie emotional berühren. Um aber die Emotionen wahrhaftig zu vermitteln, musst Du möglichst nahe an die Emotion der Betroffenen heran. Niemand kann besser von der Notwendigkeit unserer Arbeit berichten, als die Patienten und Angehörigen selbst. Das ist uns zu Beginn unserer Arbeit vornehmlich durch die regionale Nähe im Rahmen der Patientenaktionen gelungen.
Mittlerweile erreichen wir die Menschen über viele Kanäle. So tragen wir beispielsweise die Patientengeschichten per TV-Spot bis ins Wohnzimmer oder per Whatsapp aufs Smartphone. Eine andere, modernere Form der Nähe und Erlebbarkeit – aber sehr erfolgreich. Die somit steigende Bekanntheit der DKMS und das Vertrauen in unsere Marke tragen dazu bei, dass immer mehr Menschen uns auch unabhängig von persönlicher oder regionaler Betroffenheit finanziell unterstützen. Denn die Menschen sind gerne Teil von etwas Großem und sie möchten, dass sie mit ihrer Unterstützung wirklich etwas bewegen können. Bei der DKMS bekommen sie beides.
Gabi Rall: Das Gefühl, gebraucht zu werden. Die einzige Möglichkeit zu sein. Endlich etwas tun zu können, wo man sonst nur hilflos zusehen muss. Die Exklusivität der Stammzellspende hat etwas sehr verbindliches. „Ich stehe zu meinem Wort.“ hören wir in verschiedenen Abwandlungen sehr häufig. Für uns heißt das: „Auch wenn ich mir zum Zeitpunkt der Registrierung nicht vollkommen im Klaren darüber war, was eine Spende genau bedeutet, mache ich jetzt, wo mich jemand wirklich braucht, keinen Rückzieher.“
Häufig werden Menschen auch durch eine Erkrankung im Familien- oder Freundeskreis auf Blutkrebs aufmerksam und wollen deshalb mit einer Stammzellspende helfen. Es besteht zudem vermehrt die Haltung: Wenn ich in der Situation wäre, möchte ich auch, dass mir jemand hilft. Manche möchten auch etwas Bedeutendes in ihrem Leben machen. Hinzu kommt: Durch die große Medienpräsenz sind viele Spender gut informiert und sehen es als relativ einfach an, mit einer Stammzellspende ein Menschenleben zu retten.
Welches sind die häufigsten Spendermotivationen und haben sich diese im Laufe der Zeit gewandelt? Falls ja: Welche Erklärung habt ihr dafür?
HMJ: Die Gründe, warum Menschen Geld spenden oder sich engagieren, sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Das Spektrum reicht von „Gutes tun macht Sinn“ bis „Gutes tun ist eine Familientradition“. Geben hatte oft etwas mit Zurückgeben zu tun, etwa weil es einem selbst gut geht. Oder auch: „Gutes tun ist Gottes Wille“. In der Tat unterliegt der Wille zu geben aber einem Wandel. Früher blieb ein Spender gerne im Hintergrund. Der Spender vertraute in der Vergangenheit in der Regel darauf, dass die Organisation schon alles richtig macht.
Heutzutage sind Geldspender viel selbstbewusster. Sie wollen mitreden, teilhaben, genau wissen, was mit ihrem Geld passiert und was ihre Spende tatsächlich bewirkt hat. Mittlerweile sehen die Spendenmotive dann auch schon mal ganz anders aus: „Spenden macht Spaß“ oder „Spenden ist ein gutes Geschäft“. Was bleibt? Nun grundsätzlich wird bleiben, dass die Menschen gerne Geben.
GR: Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Motivation in den letzten Jahren geändert hat. Was sich geändert hat, ist, dass früher die Spender eher bereit waren, private und berufliche Dinge zu verschieben und zum Wunschtermin zu spenden. Dies ist heute schwieriger. Da muss eher mal der Spendentermin verschoben werden. Die neuen Medien spielen inzwischen auch eine sehr große Rolle. Über diese können sich einerseits Interessierte viel gezielter über Blutkrebs informieren, als über Fernsehen oder Zeitung möglich wäre. Andererseits schildern dort auch zahlreiche Betroffene ihre Erlebnisse ungefiltert einer breiten Öffentlichkeit.
Gab es im Laufe der Jahre Situationen oder skurrile Spendermotivationen, über die ihr euch wundern musstet?
HMJ: Skurril eher weniger. Es gibt immer wieder lustige Verwendungszwecke, die die Menschen bei ihrer Spende angeben. Zum Beispiel „Alles Liebe zum 50zigsten, Helena, vom bösen Onkel Paul.“ Was mich wirklich bewegt, sind die Menschen, die selbst nicht viel haben, sich dann dafür entschuldigen und trotzdem noch abgeben. Etwa so: „Ich habe selbst nur eine kleine Rente, daher kann ich diesmal nicht so viel spenden“. Eine Begebenheit, von der ich auch oft und gerne erzähle: Zwei kleine Mädchen, die in Eiseskälte während der Adventszeit in der Fußgängerzone Blockflöte zu unseren Gunsten gespielt haben und denen dabei fast die Fingerchen abgefroren sind. Beim Gedanken an die damals erspielten 153,60 Euro geht mir noch heute das Herz auf.
GR: Ich erinnere mich an eine Spenderin, die Stammzellen gespendet hatte und deren Patient nach der Transplantation verstarb. Als ich ihr das mitteilte, erzählte sie mir, dass ihre Mutter kurz nach der Spende an Krebs gestorben war. Sie hatte mit ihr über die Spende gesprochen und ihre Mutter war so stolz auf sie, dass ihre Tochter jemandem das Leben rettete, während ihr nicht mehr geholfen werden konnte. Die Spenderin hat sich an diesem Gedanken aufrecht gehalten. Als ihr Patient verstarb, hatte sie das Gefühl, ihre Mutter enttäuscht zu haben. Für diese Spenderin war die Motivation viel mehr als nur zu helfen. Die Spende und der Erfolg der Transplantation waren eine Verbindung zu ihrer verstorbenen Mutter, die ihr durch den Tod des Patienten genommen wurde. Ein anderer Spender meinte einmal: „Ich habe gehofft, der Kelch geht an mir vorbei, aber dann muss ich das ja jetzt wohl machen.“ Er hat dann auch gespendet. Es gab auch einen Spender, der immer sehr abweisend war. Er hat erzählt, wie er beruflich eingespannt ist und eigentlich gar nicht spenden könne. Er wollte aber auch nicht, dass ein anderer Spender spendet. Es war alles immer eine große Katastrophe, aber spenden wollte er irgendwie trotzdem. Er musste geradewegs hofiert werden. Das hat für mich nicht zusammengepasst. Aus diesem Spender bin ich bis heute nicht schlau geworden. Ein weiterer Spender wollte mit der Tat sein Date beeindrucken. In der Nachbefragung habe ich dann erfahren, dass das auch geglückt ist und sie nun ein Paar sind. Ob es an der Spende lag, weiß der Spender natürlich nicht zu sagen.
Und dann gab es da noch eine Spenderin, die sich gefreut hatte, dass sie durch die Spende einer Prüfung entging. Somit hatte sie mehr Zeit, sich vorzubereiten. Das hat mich schon ein wenig verwundert.
Vielen Dank für das Interview und die spannenden Einblicke!