Blogbeitrag

Wieder kein Frühling für Sofia

Sofia erkrankte 2017 mit nur acht Wochen an Blutkrebs. Nach einer langen Zeit der Quarantäne sollte das normale Leben wieder beginnen. Doch durch Corona kommt die Isolation zurück. Nun durfte ich ein weiteres Mal über die Familie berichten – allerdings nur aus der Ferne.

29.04.2020

Im Sommer 2017 durfte ich einen ganz besonderen Menschen kennenlernen: Die kleine Sofia war damals anderthalb Jahre alt, ein echter Wirbelwind, der ganze Stolz ihrer Eltern – aber auch deren verwundbarster Punkt. Denn Sofia erkrankte mit nur acht Wochen an Blutkrebs, wurde wenig später transplantiert. Viele, viele Monate der Quarantäne folgten – zunächst im Krankenhaus, anschließend zu Hause in Köln. Nach einer schier endlosen Isolation konnte die Familie zuletzt ein normales Leben führen – Sofia besuchte den Kindergarten, die Eltern gingen arbeiten. Mit der Coronakrise kam nun die Quarantäne zurück, ein Zustand, von dem die Eltern Jacqueline und Enzo Marotta so sehr gehofft hatten, dass er hinter ihnen läge. Nun durfte ich ein weiteres Mal über die Familie berichten – allerdings nur aus der Ferne.

Viele „unserer“ DKMS-Blutkrebspatienten – akut erkrankte, aber auch in jüngerer Zeit transplantierte – machen derzeit schwere Zeiten durch. Ihnen allen gilt mein großes Mitgefühl. Bei den Menschen, die ich durch meine Arbeit sogar persönlich kennenlernen durfte, ist dieses Gefühl noch einmal verstärkt. Seit meinem Besuch bei der sympathischen jungen Familie Marotta für eine Reportage der DKMS verfolge ich den Facebook-Account von Sofias Mutter Jacqueline („Littleloewenherz Sofia“). Daher wusste ich, dass sich die 35-Jährige, zunächst freiwillig, schon im Februar wieder in Isolation mit Sofia begeben hatte, um das Kind zu schützen. Zu schwach Sofias Immunsystem, zu groß die Sorge der Eltern, die Vierjährige könne sich anstecken. Als ich Sofias Mutter vor wenigen Tagen anschreibe, ob sie der DKMS noch einmal ein Interview geben würde, dauert es nur 14 Minuten, bis ihre Antwort da ist. „Natürlich könnt ihr einen Beitrag machen. Wir sind zu Hause, es ist also egal, wann du anrufst.“ Ich freue mich, als wir schon eine halbe Stunde später telefonieren. Sofia kreischt vor Freude, als Jacqueline das Handy auf „laut“ stellt. Ob das Freude oder Ärger sei, frage ich die Mutter. „Freude! Ein anderer Mensch! Das findet sie immer spannend!“

Tatsächlich habe ich nach meiner Reportage über Sofia vor zweieinhalb Jahren auch abseits der Facebook-Einträge noch oft an das Mädchen und seine Eltern gedacht. Zum Zeitpunkt meines Besuchs war die Transplantation schon ein Jahr her. Doch Sofia lebte noch immer in häuslicher Quarantäne mit ihren sehr vorsichtigen Eltern. Bis zum darauffolgenden Sommer ginge das wahrscheinlich so weiter, sagte mir die Mutter seinerzeit. Bis Sofia durchgeimpft sei. Diese Worte der Mutter haben sich in meinem Kopf eingebrannt. Ein ganzes (weiteres!) Jahr? Ein Jahr ohne Kontakte? Mit einem Wirbelwind in einer Drei-Zimmer-Wohnung? Mein Respekt für die Eltern war schon damals riesig. Ich bin selbst Mutter und weiß, dass der Tag manchmal noch sehr jung sein kann – wenn die Kraft der Eltern schon längst aufgebraucht ist. Oft habe ich anschließend an Familie Marotta gedacht. An ihre schöne, aber eben nur begrenzt große Wohnung, an das bezaubernde, fröhliche Kind mit der vielen Energie, an den kleinen Balkon – den einzigen Kontakt nach draußen. Ich fand die Aussicht auf ein Jahr in Quarantäne erdrückend, doch Jacqueline präsentierte sie mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte sie gesagt, sie würde gleich den Wocheneinkauf erledigen. Die Eltern hatten ihr Kind fast verloren – und waren nun zwar erschöpft von den langen Tagen, aber so dankbar dafür, dass es der Kleinen gut ging.

Es tut mir umso mehr leid zu hören, dass es nun wieder soweit ist. Die Sorge der Eltern um das geliebte Kind kann ich gut nachvollziehen. Als langjährige Mitarbeiterin der DKMS weiß ich, dass es da draußen nun viele, viele Blutkrebspatienten gibt, denen es derzeit ähnlich geht – und deren Sorge vor der aktuellen unbekannten Situation so viel größer ist als für Nicht-Risikogruppen. Und die darüber hinaus, anders als der Rest der Gesellschaft, dieses Leben ohne Kontakte schon viel zu gut kennen. „Es ist hier gerade alles genauso wie bei Deinem Besuch damals“, sagt die Mutter zu mir. „Außer dass Sofia jetzt größer ist und spricht.“ Damals liebte sie Eros Ramazotti, heute schaut sie gern Englische Kinder-Videos bei YouTube oder knetet. Ein Leben ohne Sozialkontakte – was für uns alle schwieriges Neuland ist, ist für diese Menschen eine Wiederholung, ein Rückschritt, ein „bitte nicht schon wieder, das hatten wir doch schon geschafft“.

Die Marottas lassen sich trotzdem nicht unterkriegen. Sie malen und basteln mit Sofia, sie videotelefonieren mit den Lieben, sie haben einen Corona-Regenbogen ans Fenster gemalt. Der Patenonkel – übrigens der Arzt, der Sofias Erkrankung im letzten Moment diagnostizierte, und der heute fast ein Familienmitglied ist –, hat für das Mädchen Lieder aufgenommen. Bewegung habe Sofia ohnehin genug, erzählt die Mutter: „Sie rennt den ganzen Tag!“ Und wenn die Langeweile einmal Überhand nimmt, bittet die Mutter via Facebook um Beschäftigungstipps. Auch ich habe neulich zwei hingeschickt. Kinetischer Sand war ein Vorschlag – den hatte Sofia leider schon. Und: neues Spielzeug vom Flohmarkt (vor Geschäftsschließungen und Kontaktverbot wohlgemerkt). Aber das war Jacqueline schon seinerzeit ein zu großes Risiko wegen der vielen Menschen dort.

Es ist schade, dass ein neuer Frühling in Sofias Leben ins Land geht, ohne dass die Vierjährige draußen herumtollen oder in den Kindergarten gehen darf. Aber Jacqueline hofft auf den Spätsommer: Dann, wenn sich die Transplantation ihrer Tochter zum vierten Mal jährt, der Tag des Beginns von Sofias zweitem Leben. Ich drücke der Familie fest die Daumen, dass es dann wie geplant eine große Party geben wird. Mit den Großeltern, die sie derzeit so vermissen, Freunden und Bekannten – und vielen Kindern in Sofias Alter. Bis dahin werde ich weiterhin fleißig dem Facebook-Account der Mutter folgen und, falls möglich, weitere Beschäftigungstipps geben. Dann endlich auch nützliche, so hoffe ich.

Über Jennifer Andersen

Jennifer Andersen arbeitete viele Jahre beim "Express" als Redakteurin, bis sie 2011 zur DKMS wechselte. Als die Kölnerin mit australischen Wurzeln über ein Stellenangebot der DKMS stolperte, stand für sie fest: „Das will ich versuchen!“ Denn schon während ihres Studiums der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Anglistik und Germanistik hatte sie sich als Spenderin registriert . Nach einem Jahr in der Spenderneugewinnung wechselte sie in die Kommunikation, wo sie seitdem als Public Relations Managerin die Geschichten von Spendern und Patienten erzählt.

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